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Das Böse in uns Phänomenologie und Genealogie des Bösen

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Beschreibung

Uwe Petersen

 

 

Das Böse in uns

Phänomenologie und Genealogie des
Bösen

 

 

 

 

ISBN3-900693-55-2

2005 novum Verklag GmbH, Horitschon- Wien – München

 

 

 

Einleitung

Kriterien des Bösen

  1. Das Böse zerstört oder ist auf Zerstörung aus
  2. Subjektbezogenheit des Bösen
  3. Das Böse verletzt Normen
  4. Relativität des Bösen

Phänomenologie und Genealogie des Bösen

  1. Natürliches kosmisches Leben
  2. Das Erwachen des Geistes
    Spaltung des natürlichen kosmischen Lebens in Intellektualität und Sinnlichkeit

2.1 Die Entwicklung der Intellektualität des Menschen – Die Geburt des Denkens und Wollens –

2.1.1 Der Sündenfall des Denkens

2.1.2 Der Sündenfall des Wollens

2.1.3 Das Ineinander von Denken und Wollen

2.2 Die Entwicklung der Sinnlichkeit

2.2.1 Abgrenzung vom Leben der Tiere

2.2.2 Das Wesen der Sinnlichkeit

2.3 Das Aufeinander-Bezogensein von Vernunft und Sinnlichkeit

2.3.1 Sinnlichkeit als Gefährdung der Vernunft oder als Lebenslust

2.3.2 Böse Individualisierung als Verrat an der Gemeinschaft

2.3.3 Autismus und Vandalismus

2.4 Krankhafte Formen der Selbstwerdung

2.4.1 Probleme der Selbstwerdung in der Familie nach Bert Hellinger

2.4.2 Sadismus und Masochismus

Sadismus

Masochismus

2.4.3. Fremdgesteuertes Wollen:
Fundamentalismus und Opportunismus.

Ehrverhalten und autonomes Handeln

  1. Die Vollendung des Geistes

3.1 Selbstwerdung bedingt innere Spannungen

3.2. Die Überwindung des Bösen

3.3 Bereuen und Vergeben

Jenseits von gut und böse.

  1. Relativierung der Kriterien von gut und böse.

1.1 dass es zerstört

1.2 das Zerstören auf ein Subjekt bezogen sein

1.3 Die Bezogenheit auf Normen

1.4 Standpunktbezogenheit des Guten und Bösen

  1. Unvollkommene Formen der Persönlichkeit

2.1 Der Narziss

2.2 Der Arbeitsethiker

  1. Persönlichkeit und Gesellschaft

Literaturverzeichnis

 

Wenn man Handeln als bewusste Tätigkeit definiert, dann ist das Denken bereits ein Handeln, ja sogar eine besondere Form, da es alle übrigen Formen des Handelns begleitet. Durch die Tätigkeit des Denkens unterscheidet sich der Mensch am augenfälligsten vom Tier, denn denkend tritt der Mensch aus dem instinktiven Zusammenhang mit seiner Um- und Mitwelt heraus und stellt sich diesen selbst gegenüber. Er gewinnt so Seiendes. Seiendes zeigt sich ihm in begrifflich definierten distinkten Entitäten, die sich voreinander unterscheiden. Als Unterschiedene werden die Erscheinungen der Welt automatisch auch hinsichtlich ihrer Lebensbedeutung für den Menschen bewertet. Die abstrakteste Form einer lebensbedeutsamen Bewertung ist die Unterscheidung im gut und böse.

Beim Kind ist die Lebensbedeutung von Erscheinungen noch so vorherrschend, dass selbst ein Tisch, an dem es sich gestoßen hat, als böse charakterisiert wird. Je mehr die Phänomene dem Menschen aber gleichsam “fremd” werden und der Mensch auch gelernt hat, Phänomene aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, umso komplexer werden die in begrifflichen Entitäten enthaltenen Bewertungen. Aber in jeder auf andere Phänomene verweisenden Bestimmtheit schwingt die Grundbewertung von gut und böse mit. Die Unterscheidung von gut und böse kann somit im weitesten Sinne als die Unterscheidungsfähigkeit selbst gelten, und da Unterscheidungsfähigkeit zum Wesen des Menschseins gehört, kann die Menschwerdung mit dem Erkennen von gut und böse gleichgesetzt werden. Wird dann noch der Mensch als Ebenbild eines Schöpfergottes verstanden, dann wird der Mensch, wie es in der Bibel heißt, durch das “Essen vom Baum der Erkenntnis” wie Gott.

Im natürlichen Geschehen und instinktiven Leben gibt es keine Vergegenständlichungen von distinkten begrifflich gefassten Entitäten und somit auch keine Unterscheidungen und somit auch kein gut und böse. Ein Blitz, der einen Menschen erschlägt, ein Erdbeben, das eine Stadt zerstört oder ein Löwe, der ein Zebra frisst, sind nicht böse, sondern leben nur ihre Natur aus. Wenn solche Erscheinungen als böse oder auch als gut bezeichnet werden, dann tragen wir diese Bewertungen in das Naturgeschehen hinein, so wie wenn wir den Blitz zu einem verantwortlichen Subjekt erheben und ihm die Schuld für das Erschlagen des Menschen geben.

Aus der Perspektive der Natur können im Übrigen auch keine Handlungen des Menschen als gut oder böse bewertet werden, denn, wenn wir Zerstören als böse bewerten, zu dürfen wir nicht vergessen, dass jedes Zerstören Platz für Neues schafft, und jedes Neue Altes zerstört. Das Böse, wenn es denn als solches subjektiviert werden kann, ist somit nicht in der Natur. Es ist in uns. Wir bewerten die Erscheinungen, und zwar jeder für sich. Selbst wenn wir nach allgemeinen Normen werten, so müssen wir uns mit diesen Normen identifizieren, denn, wenn wir sie für falsch halten, könnten wir nach ihnen nicht urteilen. Unsere Normen müssen, wie wir aus interkulturellen Beziehungen immer wieder erfahren, auch nicht unbedingt für alle Menschen gleich sein, insbesondere, wenn es um die Wesensbestimmung des Menschen geht und dem, was wir gemeinhin als “Fortschritt” nennen.

Fundamental entzündet sich die Frage nach gut und böse bereits daran, ob denn das selbstständige Denken bzw., mythisch formuliert, das Essen vom Baum der Erkenntnis, nicht bereits schon ein Sündenfall, d. h. böse ist. Interessanterweise finden wir diese negative Einstellung zum selbstbewussten Denken, aber auch zum eigenwilligen Wollen, in allen Kulturen wieder. Taoistisch ist es das Heraustreten aus der kosmischen Harmonie. Deswegen wurde auch in allen außereuropäischen Zivilisationen je nach intellektuellem Entwicklungsgrad früher oder später, selbsttätiges Denken tabuisiert. Nur in Europa überwog die Faszination des Werdens wie Gott die Furcht vor dem Sündenfall und konnte sich daher auch nur in Europa die unsere heutige Welt bestimmende Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln.

Insoweit das Denken von göttlichem Willen oder aus kosmischer Gebundenheit frei macht, ermöglicht es dem Menschen auch erst freies Handeln. Bewusstes freies, aus den Intention des Menschen gesteuertes Handeln greift auch in das natürliche Geschehen ein und ist aus natürlicher Perspektive deshalb auch böse. Der Sündenfall kann daher nicht nur als <Sündenfall des Denkens>, sondern auch des Willens expliziert werden.

Um sich als selbstständiges Denken zu erfahren und damit als Selbst zum Stehen zu kommen, ist das Denken darauf aus, alles zeitliche Fließen und Werden aus den äußeren Erscheinungen zu eliminieren, um sich auf ein festes zeitlos gültiges Sein oder Seiendes stützen zu können. Deswegen abstrahieren seit der Antike die Philosophen alles Werden und zeitliche Fließen aus den Erscheinungen und steigen zu zeitlosen Allgemeinheiten, wie das Sein, das Eine, das Absolute, das Wahre auf, das ihnen auch das Gute ist. Das Werden und Flüchtige in den Erscheinungen, das durch die Sinne erfahren wird, gilt ihnen als nicht-seiend, bzw. soweit sich in den äußeren Erscheinungen distinkte Entitäten zeigen, als nur am Sein anteilhabend. Wer sich auf das Sinnliche einließ, wurde vom Denken abgehalten, und somit ergab sich aus der Perspektive des Denkens eine weitere Bestimmung von gut und böse. Gut war ein Mensch, der sich im Denken zu den ewigen Ideen erhob und böse, wenn es sich seinen sinnlichen Trieben überließ. Wer sich zu den allgemein Ideen und Normen erhob, der konnte seine sinnlichen Triebe zügeln.

Das Andere des Denkens, die Sinnlichkeit, ist nun aber nicht etwa etwas Ursprüngliches vor allem Denken Gegebenes, das mit dem instinktiven oder tierischen Leben gleichgesetzt werden kann. Sinnlichkeit ist vielmehr bewusstes Erleben all dessen, was das Denken aus den Erscheinungen eliminiert hat, um zu zeitlosen Seinsbestimmungen zu kommen. Sinnlichkeit ist Erleben von Dynamik, Wechsel, Werden, Zeitigung. Und wenn es diesen Wechsel nicht gibt, dann wird es dem sinnlichen Erleben langweilig, dann schläft der Mensch ein. Das heißt: Die Sinnlichkeit entsteht erst mit dem Intellekt als dessen Gegenbild. Wenn gesagt wird, dass Vernunft die Sinnlichkeit beherrschen muss, so deswegen, weil das Denken, indem es die Erscheinungen der Welt zu zeitlosen Entitäten machte, die Dynamik und die instinktive Steuerung aus den sinnlichen Funktionen herausgelöst hat. Ein Tier wird immer nur so viel fressen, wie es ihm gemäß ist und sich paaren, wenn und soweit es sinnvoll ist. Sinnlichkeit ist dagegen bewusstes Genießen des Essens und der Sexualität um ihrer selbst willen.

Durch den Sündenfall spaltet sich der Mensch in Intellektualität und Sinnlichkeit. Er kann deswegen sein Selbst nicht nur am Denken, sondern auch an der Sinnlichkeit festmachen. Erlebt ein Mensch sich in seinem sinnlichen Genießen, dann erscheinen ihm abstraktes Denken und Ordnung als kalt und herzlos, kurz als böse. So gibt es auch zur Bewertung der Sinnlichkeit aus intellektueller Perspektive als böse eine komplementäre, die Intellektualität als satanisch empfindet.

Die Spaltung in Intellekt und Sinnlichkeit kann den Menschen zerreißen. Je nach dem wie der Intellekt und Sinnlichkeit ausgebildet werden und sich aufeinander beziehen, können die verschiedensten als defizitär empfundenen und von anderen als „böse“ bezeichneten Verhaltensweisen entstehen, wie Sadismus und Masochismus, Fundamentalismus und Opportunismus. Letztere werden an Beispielen, insbesondere aus der deutschen Nazizeit und dem Apartheidregime in Südafrika, illustriert.

Entsprechend gelten geglückte Rückbeziehungen von Intellektualität und Sinnlichkeit als gut. Je mehr der Mensch sich auch in seinem jeweiligen Anderen sieht – und in dieser Beziehung können wir viel von den Asiaten lernen -(das Andere sind die Mitmenschen und ist auch die Natur) – und somit erkennt, dass das, was aus der einen Perspektive als böse, aus der anderen als gut bezeichnet werden muss, nimmt der Mensch die Unterscheidung in sich hinein. Als das jeweils Andere dessen, was ist und schon durch seinen Seinscharakter zwar nicht das Beste sein muss, aber gegenüber dem Nichts doch als gut gilt, ist das Böse aber auch dasjenige, was als negative Kraft aus der Statik des Seins immer wieder herausführt. So gesehen ist es gut, das Böse auch in sich zu haben.

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